My contribution discusses the question of whether the study of cultures of remembrance can be implemented in language teaching, especially German language teaching, what the benefits of such attempts are, and how they can be most fruitfully undertaken. To clarify the key term, the concept of ‘culture of remembrance’ sig- nifies a ‘collective term for all non-scientific uses of history in the public sphere’ (1; 16). As this necessarily includes a multitude of rich and varied material that can be brought to use in language teaching, I argue that the discussion of cultures of remembrance is particularly suitable in order to make language lessons more at- tractive. Furthermore, I suggest that dealing with cultures of remembrance offers three specific positive learn- ing outcomes that all combine the acquisition of ‘knowledge’ and ‘transferable skills.’
Mein Beitrag behandelt die Fragen, warum und wie die Beschäftigung mit Erinnerungskultur im Deutschunterricht, bzw. im Sprachunterricht allgemein, eine Rolle spielen soll und kann. Unter dem Konzept der Erinnerungskultur verstehe ich zunächst wie Hans Günter Hockerts einen recht lockeren «Sammelbegriff für die Gesamtheit des nicht spezifisch wissenschaftlichen Gebrauchs der Geschichte in der Öffentlichkeit» [1; 16]. Aufgrund der sich so eröffnenden Fälle an möglichen Materialien und Gegenständen meine ich, dass eine Diskussion erinnerungskultureller Fragen besonders geeignet sein kann, den Unterricht attraktiv zu gestalten und die Studenten für die vertiefte Beschäftigung mit einem Sprachraum oder einer Zielkultur zu begeistern. Außerdem argumentiere ich vor dem Hintergrund meiner Lehrerfahrung in Kasachstan, dass die Beschäftigung mit Erinnerungskultur im Deutschunterricht mindestens drei spezifische positive Lerneffekte zeitigen kann, die alle den Erwerb von „Wissen» und „Können» auf interessante Weise miteinander verknüpfen. Ich illustriere meine Argumentation am Beispiel einer kleinen Veranstaltungsreihe, die mein Kollege Maxim Menschenin, Sprachassistent am lokalen Sprachlernzentrum (SLZ), und ich im vergangenen Winter hier in Karaganda durchführten.
Im Folgenden präsentiere ich also zunächst die drei wichtigsten konkreten Lerneffekte, die meiner Erfahrung nach durch die Beschäftigung mit Erinnerungskultur im Deutschunterricht hierzulande erzielt werden können, bevor ich in den anschließenden Absätzen Aspekte der verwendeten Terminologie diskutiere, für eine weitergehende wissenschaftlich-methodische Öffnung im Kontext des Fremdsprachenunterrichts plädiere und auf die erwähnte Veranstaltungsreihe näher eingehe.
Drei Argumente sprechen besonders für die Erörterung von erinnerungskulturellen Problemstellungen im Deutschunterricht in Kasachstan. Erstens können solcherlei „landeskundliche» Themen, wenn klug gewählt, vielleicht den fesselndsten Teil des Fremdsprachenunterrichts bilden. Weil die Unterrichtsgegenstände sie bewegen, möchten die Studenten an den vorgeschlagenen Debatten teilnehmen und verbessern so ihre Sprach- und Ausdrucksfähigkeit in besonderem Maße. Zweitens kann die Behandlung landeskundlicher Themen die Studenten in einem ersten Schritt zur Erörterung von Trends und Entwicklungen im studierten Sprachraum und in einem zweiten Schritt zum interkulturellen Vergleich mit ihrem persönlichen Umfeld und Erfahrungshintergrund anregen. Im Hinblick auf die Beschäftigung mit Erinnerungskultur bedeutet dies, dass die Studenten zur aktiven und reflexiven Auseinandersetzung auch mit der (Zeit-) Geschichte ihrer eigenen Umgebung und deren musealer, künstlerischer, kultureller, (populär-) wissenschaftlicher und politischer Verarbeitung ermutigt und befähigt werden, was mir für die Herausbildung eines zivilen Bewusstseins unter der jungen Generation unabdingbar erscheint. Drittens ist die Behandlung von Erinnerungskultur ein Feld, auf dem die kritische Diskussion von unterschiedlichen Darstellungen und Quellen und somit die Grundlage des wissenschaftlichen Arbeitens auf spannende und geradezu spielerische Weise eingeübt werden kann. Gerade dieser letzte Effekt, die Hinführung der Studenten an wissenschaftliche Arbeitstechniken, ist meiner Erfahrung nach im kasachstanischen Kontext besonders wertvoll, da wissenschaftliches Arbeiten und kritische Reflexion mit den Studenten vielfach noch intensiver geübt werden könnten, um die offiziell angestrebte akademische Mobilität und Internationalisierung der Forschung und Lehre zu verbessern.
Bevor ich mich der Diskussion zuwende, mchte ich einige nunmehr mehrfach gestreifte Begriffe klären bzw. genauer erörtern. Wie bereits oben angedeutet, ordne ich die Beschäftigung mit Erinnerungskultur im Fremdsprachenunterricht dem Unterrichtsbereich «Landeskunde» zu. Unter Landeskunde verstehe ich ganz allgemein den Erwerb von Kontextwissen für das Erlernen von Fremdsprachen. Dieses Kontextwissen ergibt sich generell aus der Vermittlung und Vertiefung von Kenntnissen aus den Bereichen Soziologie, Politik, Wirtschaft, Kultur und Geschichte des studierten Sprachraums oder der Zielkultur. Durch die Vermittlung von derlei gesellschaftlichem Wissen ist die Landeskunde damit wohl derjenige Teil des Fremdsprachenunterrichts, der, weil die verhandelten Probleme erkennbar interpretierbar sind und deren Wahrnehmung stark von den Perspektiven und Interessen der verwendeten Quellen abhängt, am offensichtlichsten eine ideologische Komponente aufweist.
Aus dieser Beobachtung folgt, wie Ulrich Zeuner bemerkt, „dass für alle landeskundlichen Gegenstände ein Unterrichtsverfahren angemessen ist, das möglichst viele — auch gegensätzliche — Aspekte eines Sachverhaltes zur Sprache bringt» (2;5). Da gerade die Beschäftigung mit Erinnerungskultur im Bereich der Landeskunde nun eine geradezu ungeheure Materialvielfalt und -fälle bereithält, ist dieses Feld aus meiner Sicht prädestiniert für die Einübung von Quellenkritik und verwandten wissenschaftlichen Arbeitstechniken. Denn die Erinnerungskultur als „öffentlicher Geschichtsgebrauch» kennt „[verschiedenste Mittel] und […] [verschiedenste Zwecke], von der Gedenkrede des Bundespräsidenten über die Denkmalpflege bis hin zum Fernseh-Infotainment über ‚Hitlers Frauen‘« [1; 16]. Die Beschäftigung mit erinnerungskulturellen Fragen ist angesichts dieser Fälle von mäglichen Zugängen zum Thema daher besonders geeignet, methodische Herangehensweisen zu überarbeiten und die kritische Auseinandersetzung mit Darstellungen auf attraktive und fesselnde Weise zu? ben.
Dies ist aus meiner Sicht auch deshalb wünschenswert, weil sich Kasachstan zwanzig Jahre nach der Unabhängigkeit im Hinblick auf Unterrichtsmaterialien und -methoden noch mit nachvollziehbaren postsowjetischen Herausforderungen konfrontiert sieht. Verschiedene Autoren haben beobachtet, dass die Formen der Vermittlung zum Beispiel in den Bereichen Geschichte und Literatur, die beide Bezugswissenschaften der Landeskunde sind und in das Themenfeld der Erinnerungskultur hineinspielen, ihren sowjetischen Vorgängern ähneln [3; 57]. Zwar werden die inhaltlichen Schwerpunkte nun merklich anders gesetzt, doch bleiben organisatorischer Aufbau und Präsentationsformen vielfach nahezu gleichartig. Damit einher geht eine oftmals funktionelle und ideologische Rollenzuweisung des behandelten Materials, die die Möglichkeit unterschiedlicher Interpretationen und Auslegungen oft einengt [4;333]. Meiner Beobachtung nach aber wären Herangehensweisen, die den Lerner und seine individuelle Interpretation des Rezipierten in den Mittelpunkt stellen, erstrebenswert, um ein noch tiefergehendes Interesse der Studenten an der Historie und Zeitgeschichte zu wecken, das nicht bei der „Einübung von Gedenk- oder Jahrestagen» und[verordneten] Denk-Würdigkeiten» [5] endet. Dieses vertiefte Interesse wäre nicht nur aus pädagogischer Sicht erfreulich, sondern würde aus wissenschaftlicher Sicht die Analysen- und Debattenfertigkeit der Studenten stärken und eine Entwicklung weg von einer ganz strikt durchgehaltenen Richtig-Falsch- Dichotomie hin zu Reflexion und eigenen, wohlbegr? ndete Antworten und? berlegungen ebnen (siehe auch Burkhalter&Shegebayev 2012) [6].
All diese Ziele verfolgten Maxim Menschenin und ich mit unserer Veranstaltungsreihe rund um eine Gedenkstättenfahrt nach Dolinka zum «KarLag», dem ehemaligen «Karagandinsker Arbeits- und Besserungslager», samt zweier Vorbereitungs- und Nachbereitungsseminare. Wir luden insgesamt 22 Teilnehmer ein, die hauptsächlich aus meinen Kollegen und Studenten unserer Universität und Kursteilnehmern des SLZ bestanden. Auf den kulturellen Spuren der deutschen Minderheit in der Region Karaganda wollten wir also in einem ersten Schritt die Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur üben, und in einem zweiten Schritt Anregungen für die kreative und produktive Integration der oben beschriebenen landeskundlichen Aspekte und Lerneffekte in den Deutschunterricht geben.
Im Vorbereitungsseminar auf die Exkursion machten sich die Teilnehmer anhand von wissenschaftlicher und populärer Literatur mit Grundlagen des Begriffs der Erinnerungskultur vertraut und trugen ihre Kenntnisse zu Gulag-System und Stalinismus zusammen. Außerdem erfolgte die Vorbereitung der Fahrt in Arbeitsgruppen mit Aufträgen zu themenspezifischen Recherchen und qualitativen Interviews mit Zeitzeugen. Diese Träger von Primärerfahrung wurden von den Teilnehmern im Rahmen von Erinnerungsinterviews befragt. Im Anschluss wurden die so gewonnenen Narrative mit dem Erklärungshorizont von Zeithistorikern verglichen und mit Zeitdokumenten trianguliert. In künftigen Projekten sollen zusätzlich hierzu auch literarische Ausarbeitungen in unterschiedlichen Sprachen ausgewertet werden. Bereits existierende Aufbereitungen des Themas für den Unterricht wie zum Beispiel David Hosfords, Pamela Kachurinsand Thomas Lamonts großartige Unterrichtseinheit „GULAG: SovietPrison Camps and Their Legacy» wurden ebenfalls herangezogen [7]. Nachdem die Teilnehmer so auf die Exkursion vorbereitet waren, fiel es ihnen leichter, ihre Eindrücke hinterher zu beschreiben und einzuordnen. Ein wichtiger Eindruck war eine vielfach wahrgenommene „Monumentalisierung» der öffentlichen Erinnerung und eine „verordnete» Erinnerungskultur, über die wir im Nachbereitungsseminar reflektierten. Die Teilnehmer erlebten, dass während die öffentliche, institutionell und offiziell geformte und gefärderte Erinnerungskultur wie überall auf der Welt dazu neigt, das historische Wissen auf wenige einprägsame Zeichen zu verkürzen [1;17], im Unterricht eben diese Zeichen hinterfragt und analysiert werden können und „Erinnerungsroutine» so vermieden werden kann.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass dieser interdisziplinär orientierte Zugang zum Sprachunterricht die Neugier der Studenten auf Sprachen und Kulturen verstärkt, das universitäre Fremdsprachenstudium attraktiver macht, die Studenten wissenschaftliches Handwerkszeug lehrt und sie nicht zuletzt zu aktiv partizipierenden Staatsbürgern erzieht.
References
- Hockerts G. Zugänge zur Zeitgeschichte: Primärerfahrung, Erinnerungskultur, Geschichtswissenschaft. Aus Politik und Zeitgeschichte, 2001. — 28. — Р. 15–30.
- Zeuner U. Landeskunde und interkulturelles Lernen: Eine Einführung. — Dresden: Technische Universität Dresden,
- Kissane C. History education in transit: where to for Kazakhstan. Comparative Education, 2005. — 41 (1). — Р. 45–69.
- Asanova J. Teaching the canon? Nation-building and post-Soviet Kazakhstan’s literature textbooks. Compare: A Journal of Comparative and International Education, 2007. — 37 (3). — Р. 325–343.
- Schulz C. Erinnern und Verschweigen: Themenblätter im Unterricht, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung,
- Burkhalter , Shegebayev M.R. Critical thinking as culture: Teaching post-Soviet teachers in Kazakhstan. International Review of Education, 2012. — 58. — Р. 55–72.
- Hosford , Kachurin P., Lamon T. GULAG: Soviet Prison Camps and Their Legacy, Cambridge, MA: Harvard University, 2010.